(Greiz/ 26.03.2025) Der Tagesordnungspunkt (TOP) 4 Bebauungsplan (B-Plan) „Marstallquartier“ führte nach den ersten Eingangsstatements der Fraktionen zu einer längeren und kontroversen Diskussion im Greizer Stadtrat, die zu Beginn als „Geisterdebatte“ bezeichnet wurde.
Pro und Contra vor Anhörung der anwesenden Fachbehörde? AfD bezeichnet dies als „Geisterdebatte“
Der Fraktionsvorsitzende der AfD-Bürgerfraktion, Torsten Röder, gab in seinem ersten Redebeitrag (weitere sollten folgen) sein Erstaunen am Saalmikrofon kund.
„Ich bin erstaunt über diese Geisterdebatte. Hier gibt es von den Fraktionen schon Statements zum Pro und Contra, obwohl weder der Investor noch das Straßenbauamt vom erteilten Rederecht Gebrauch machen konnten.“
Er sprach Investor Arno Wagner direkt an und erinnerte ihn daran, dass 2020 die (damals nur vierköpfige) AfD-Bürgerfraktion sich schon mit dem Aufstellungsbeschluss zum B-Plan schwer getan habe. Teilweise zugestimmt habe man diesem nur, weil somit überhaupt eine Bürgerbeteiligung möglich wurde. Trotz umfassendem Bürgerengagement im Rahmen der Unterschriftensammlung mussten die Greizer bis 2025 auf die wiederholt versprochene Einwohnerversammlung warten. Auf die schwierige Verkehrssituation und jetzt schon hohe Verkehrsbelastung habe man schon 2020 hingewiesen. Fünf Jahre später sei man eigentlich keinen Schritt weiter. Es gäbe keine Planung, Schriftverkehr haben die Fraktionen sowieso nie gesehen. Insofern sei seine Fraktion sehr gespannt auf die Ausführungen der Vertreter des Thüringer Landesamtes für Bau und Verkehr (TLBV). Für dieses Statement gab es lauten Applaus bei den Zuschauern.
TLBV-Vertreter: Seit 2023 erste Anfrage der Stadt, Umbau Marstallstraße sei „machbar“
Stephan Saalfeld, der zuständige Regionalleiter des TLBV, betonte zunächst die angespannte Personalsituation im zuständigen Referat 44. Hier wären zahlreiche Ingenieursplanstellen unbesetzt. Es fehle dabei nicht am Geld, sondern an den fachlich qualifizierten Menschen. Er bedankte sich für die Einladung mit dem für die Stadträte überraschenden Statement,
„da dies seit 2023 die erste Anfrage der Stadt Greiz ist.“
Gleichwohl sei das TLBV bemüht, das Vorhaben positiv zu begleiten. Nach Einschätzung von Saalfeld sei das Verkehrsaufkommen auf der Marstallstraße „auch mit dem Einkaufscenter noch beherrschbar“. Ebenso halte er „den erforderlichen Umbau der Marstallstraße für machbar“. Dies gelte auch für die Finanzierung. Zumindest für den Ausbau der Landesstraße (Fahrbahn und Mittelinsel), welche das TLBV nach dem Thüringer Straßengesetz zu finanzieren hätte. Konkrete Angaben zu den Kosten machte Saalfeld aber nicht. Die erforderliche Linksabbiegespur wäre vom Investor zu tragen. Für den Umbau der Gehwege ebenso wie für die Anbindungen in den Gemeindestraßen Mollbergstraße und Breuningstraße wäre finanziell die Stadt Greiz zuständig.
Nachfrage zum Zeitfenster: Planungshorizont 2-3 Jahre
Die Ausführungen von Stephan Saalfeld veranlassten Phillip Wünsch sowie Torsten Röder zu weiteren Nachfragen bezüglich des Zeitfensters. Wünsch wollte auch wissen, wie die Marstallstraße während der Bauphase funktionieren soll? Stephan Saalfeld antwortete, dass dies im Bauverlauf durch den Investor mit den Fachbehörden abzustimmen sei. Die Planungsleistungen inklusive der notwendigen Verwaltungsvereinbarung mit der Stadt Greiz würden circa zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen. Er ging in seinen Ausführungen dennoch davon aus, dass zu diesem Zeitpunkt die für den Umbau der Marstallstraße notwendigen Finanzmittel im Landeshaushalt zur Verfügung stehen werden. „Die Marstallstraße hat jetzt nicht so einen Umfang, dass dies nicht zu stemmen wäre“ so Saalfeld.
Investor Wagner warb für sein Projekt, Besucher reagieren eher pikiert
Investor und Architekt Arno Wagner nutzte danach sein Rederecht, um beim Stadtrat sowie den anwesenden Bürgern für das geplante Greizer Bauvorhaben zu werben. Er verwies darauf, dass er in anderen Städten schon innerstädtische Projekte erfolgreich realisiert habe. Zugleich verwahrte er sich gegen den Begriff „Einkaufstempel“. In diese Kategorie würde er z.B. die Goethe-Galerie in Jena einordnen. Auf Jena ging er mehrfach ein. Als Beispiel, dass diese innerstädtischen Projekte durchaus funktionieren. Bei dieses Vergleichen reagierten die Zuschauer eher pikiert mit Unruhe. Letztlich gab es aus den Zuschauerreihen den Zwischenruf „Jena ist eine Studentenstadt und mit Greiz nicht vergleichbar“. Dem stimmte Wagner zwar zu, hielt das Marstall-Center Greiz aber dennoch für realistisch.
Drei von vier Ankermietern vertraglich gesichert, Bauzeit ca. fünf Jahre
Auch bei Investor Wagner ging Torsten Röder an das Saalmikrofon, um für seine Fraktion Unklarheiten zu beseitigen. Er griff einen Punkt von Phillip Wünsch auf und fragte Arno Wagner unter anderem, wie viele „Ankermieter“ er bräuchte und wie viele noch bei der Stange bleiben. Früher war die Rede von ALDI, DM und REWE. Zuvor wollte er wissen, mit welchem Zeithorizont Wagner denn plane, wenn des TLBV schon von zwei bis drei Jahren für die Straßenplanung ausgeht.
Hinsichtlich des Zeithorizontes für Planung und Bauausführung antwortete Wagner, dass er schon mit einem Zeitfenster von fünf Jahren bis zur Eröffnung rechne. Auf die Zwischenfrage, ob denn die Ankermieter so lange warten würden antworte Arno Wagner, dass er mindestens drei von vier Ankermietern bräuchte, um das Objekt rentabel betreiben zu können. Diese drei sind auch tatsächlich vertraglich gebunden. Er habe mit allen Ankermietern Jahresverträge, die sich jeweils im Juni verlängern, soweit sie nicht gekündigt werden.
Phillipp Wünsch fasste ebenfalls nochmals nach und fragte nach den geplanten altersgerechten Wohnungen, deren Mietpreise mit 15-19.- € pro Quadratmeter kommuniziert wurden. Wer soll sich das in Greiz leisten leisten können? Wagner antwortete, dass diese Wohnungen an einen Leistungserbringer für Pflege oder ambulanter Betreuung im Seniorenbereich vergeben werden sollen. Der Mietpreis würde also auch solche Leistungen beinhalten. Die Aussage sorgte für Unruhe und Zweifel bei den Besuchern im Ratssaal. Stadträtin Cornelia Tristram (AfD-Bürgerfraktion) redete mit ihrer Wortmeldung den Stadtratskollegen ebenfalls nochmals in´s Gewissen. Sie verwies auf das gültige Einzelhandelskonzept der Stadt Greiz. Namentlich auf die dort enthaltenen Verweise, u.a. auf § 34 Baugesetzbuch. Nach ihrer Meinung wäre somit das Marstallquartier für die vorgesehene Bebauung überhaupt nicht zulässig.
AfD beantragt „Auszeit“ und weitere Geschäftsordnungsanträge
Nach dieser Fragerunde stellte AfD-Fraktionschef Röder den Geschäftsordnungsantrag auf eine „Auszeit“. Begründung: Damit sich alle Fraktionen nochmals zu den gehörten Fakten verständigen können. Dem wurde durch den Stadtratsvorsitzenden Holger Steiniger (DIE LINKE) mit einer Sitzungsunterbrechung von 15 Minuten entsprochen. Danach wurde die Stadtratssitzung fortgesetzt.
Röder ging danach nochmals an das Mikrofon und sprach wiederum Investor Wagner direkt an:
„Die AfD-Bürgerfraktion hatte 2020 Probleme mit diesem Projekt- und dies hat sich 2025 nicht geändert. Wir sehen nach wie vor die Verkehrsanbindung nicht so unproblematisch wie hier vorgestellt. Wir haben angesichts der Zeitdauer von fünf Jahren auch das Vertrauen verloren. Vor allem aber akzeptieren wir den Willen der Greizer. Bei 4.700 Unterschriften und 89 Seiten fundierter Stellungnahmen wurde uns Stadträten durchaus klar gemacht, dass viele Greizer dieses Projekt so nicht wollen. Daher wird unsere Fraktion dafür plädieren, den Bebauungsplan nicht weiter zu verfolgen.“
Anschließend stellte er er zwei Geschäftsordnungsanträge (GOA):
Beim ersten GOA wurde Antrag auf geheime Abstimmung gestellt. Dies erfolgt mit einem kleinen Seitenhieb auf Stephan Marek (SPD) zur zweiten Stadtratssitzung der Legislatur. Damals ging es um die Sitzverteilung angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse. Marek hatte in dieser Sitzung ebenfalls geheime Abstimmung beantragt, was zu einer Marathon- Sitzung bis fast 24.00 Uhr führte. Marek hatte seinen Antrag damals damit begründet, dass nur so
„jeder Stadtrat frei entscheiden könne und man nicht – wie nach der ersten Kreistagssitzung – von den Bürgern draußen auf das eigene Abstimmungsverhalten angesprochen wird“.
Das Ziel dieses ersten GOA von Röder war damit klar: Jedweder Fraktionszwang oder fraktionsinterne „Abstimmungen“ wären bei einer geheimen Abstimmung obsolet gewesen. Die Stadträte hätten frei und nur ihrem Gewissen unterworfen abstimmen können. Er zeigte jedoch sogleich Realismus. Es gäbe keine Erwartungshaltung, dass CDU und SPD nach den bisher erfolgten Statements diesem GOA zustimmen würden. Die AfD-Bürgerfraktion sei sich die Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat sehr wohl bewusst.
Daher stellte Röder für den Fall der Ablehnung sofort den zweiten GOA – in diesem Fall Antrag auf namentliche Abstimmung. Stadtratsvorsitzender Holger Steiniger stellte nacheinander beide Geschäftsordnungsanträge zur Abstimmung. Erwartungsgemäß und wie vorhergesagt votierten CDU und SPD/LINKE/Bündnis 90/ die Grünen gegen den Antrag auf geheime Abstimmung. Der 2. GOA auf namentliche Abstimmung fand dagegen eine Mehrheit.
Erste Abstimmung in der Sache: Keine Weiterführung des Bebauungsplanes (Variante C)
In der Vorlage zum Marstallcenter hatte die Stadtverwaltung drei Varianten vorgeschlagen, über die abzustimmen war. Steiniger informierte darüber, dass sich die Fraktionsvorsitzenden im Ältestenrat darauf verständigt hatten, dass die Variante c) „Bebauungsplan soll nicht weiter verfolgt werden“ der am weitestgehende Beschlussvorschlag ist. Daher wurde zuerst die Variante c) zur Abstimmung gestellt. Der Stadtratsvorsitzende fragte anschließend einzeln durch namentlichen Aufruf das Votum der anwesenden Stadträte ab. Die Fraktionen CDU/ GfG und SPD/DIE LINKE/ B90/Die Grünen lehnten die Variante c), also die Einstellung des Verfahrens, erwartungsgemäß und wie vorausgesagt ab (vgl. Übersicht):

„Variante b): Fortführung des Bauungsplanes „Marstallquartier“ wird mehrheitlich angenommen
Danach rief Steiniger die „Variante b) B-Plan muss angepasst werden“ zur namentlichen Abstimmung auf. Hier zeigte sich – fast – das gegenteilige Bild. Die AfD-Bürgerfraktion blieb sich treu und votierte logischerweise diesmal dagegen. Die Fraktion IWA-Pro Region änderte dagegen ihren Standpunkt. Sie stimmte ebenfalls für die Fortführung des zu verändernden Bebauungsplanes (B-Plan). Mit dieser mehrheitlichen Zustimmung zu Variante b) war die Entscheidung gefallen und der B-Plan „Marstallquartier“ wird mit Änderungen weiterverfolgt. Die von der Verwaltung eingebrachte dritte „Variante a) Unveränderte Fortsetzung des B-Planes“ war obsolet. Sie wurde vom Stadtratsvorsitzenden daher nicht mehr aufgerufen.

Das Ergebnis rief deutliche Unruhe auf den Zuschauerrängen hervor. Im Anschluss folgten zwei weitere Abstimmungen, diese jedoch im Block. Mit 20 Ja, 4 Nein und 3 Enthaltungen soll das Marstallcenter als sogenannter vorhabenbezogener B-Plan fortgeführt werden. Mit 19 Ja, 3 Nein und 7 Enthaltungen wurden die Ergebnisse der frühzeitigen Beteiligungen in den B-Plan integriert. Damit war zunächst TOP 4 der langen Tagesordnung des Stadtrates erledigt.
Weiter in Teil III
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